Donnerstag, 31. Januar 2013

Sinuskurven-Winter

Da ist er wieder, der deutsche Sinuskurven-Winter. Nieselregen. Tauwetter. Tristesse und Trübsal.

Auch die Blogomotive schleppt sich dieser Tage nur äußerst mühselig über die Gleise der Republik. Noch werden einige Wochen ins Land gehen müssen, bis die ersten Blätter gedeihen und die Krokusse sprießen - die Gesichter vieler Bürger lassen Spuren jeglicher Hoffnung vermissen. Die Menschheit ist zu sehr mit den eigenen Problemen beschäftigt und zerfließt in Selbstmitleid wie Taschenuhren in einem Dalí-Gemälde.


Welch schlechter Unterhaltungsblog wir nur wären, könnten wir in solchen Momenten nicht die passende Medizin aus dem Hut zaubern. Ein bisschen Aufmunterung hat noch Niemandem geschadet. Und so schwer muss man es sich auch gar nicht machen. Einfach mal raus in die Welt und Augen auf! Es gibt sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten - und bei einigen werdet Ihr Euch fragen, warum Ihr sie nicht schon eher getroffen habt...

Freitag, 25. Januar 2013

You'll Never Know If You Don't Try

Während der 43. Super Bowl immer näher rückt und sich die Welt der amerikanischen Sportmedien nahezu ausnahmslos mit der Finalbegegnung zwischen den Ravens aus Baltimore und den 49ers aus San Francisco beschäftigt, wollen die Blogomotivführer heute auf eine andere Art der körperlichen Ertüchtigung hinweisen.
Während sich American Football derzeit auf dem besten Wege befindet, auch außerhalb Nordamerikas den Übergang von der belächelten Randsportart zum gesellschaftlichen Großereignis zu vollziehen, dümpelt Rugby relevanzmäßig immer noch irgendwo zwischen Wasserball und Squash herum. Völlig zu Unrecht, wie wir finden!
Die ewige Diskussion, was denn nun besser sei - Football oder Rugby - sei wohl jedem selbst überlassen. Auf den erste Blick sehr ähnlich, sind die beiden Traditionssportarten weitaus unterschiedlicher als man denken mag. Dies ist vor Allem durch die ethnischen Hintergründe zu erklären. Während das robustere, britische Rugby ein meist klarer Bestandteil der Arbeiterklasse blieb, entwickelte sich American Football im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem nie zuvor dagewesenen Medienspektakel. Dabei ist es oft nicht einmal die sportliche Leistung, geschweige denn das Endresultat, was die Zuschauer interessiert. Vielmehr erweisen sich Veranstaltungen wie der Super Bowl als Umsatz-Mekka für Werbemagnaten. Nicht nur Experten erklären die Fernsehübertragung der Finalbegegnung für die wohl lukrativste Werbeplattform der Welt und nehmen dabei rekordverdächtige Beträge in den Mund. Bereits für 10-Sekunden-Spots werden Millionenbeträge locker gemacht - in der Welt der Werbung global einmalig. Und auch die musikalische Untermalung fiel vor Allem in den vergangenen 20 Jahren gerne protzig und meist spektakulär aus.
Unter Anderem ist das wohl der Grund, warum sich im Nachhinein mehr Leute an die Halftime Show erinnern können als an den eigentlichen sportlichen Ausgang.
Auch die medialen Nachbereitung leistet ihren Beitrag und sorgt dafür, dass die '93er-Performance von Michael Jackson genauso im Gedächtnis der Zuschauer bleibt wie die entblößte Oberweite seiner Schwester elf Jahre später.

An sich wäre jetzt die Stelle gekommen, eine inhaltliche Kurve zu schlagen und Rugby als attraktiven Sport für feine Herren darzustellen. Doch das wäre kompletter Bullshit. Vorerst bleibt Rugby zur Randsportart verdammt, welche sich zwar von Neuseeland bis Frankreich ausbreiten konnte, jedoch auf Grund ihrer Rauheit und sportlicher Darstellungen jenseits ungetrübter Makellosigkeit zumeist unbeachtet und somit unvermarktet blieb.

Rugby ist animalisch, unverfälscht und bildet nicht zuletzt die Spitze der Maskulinität im 21. Jahrhundert. Wer ein Teil der Bewegung werden möchte, aber die Regeln noch immer nicht ganz verstanden hat, dem sei deshalb das folgende Lehrvideo wärmstens ans Herz gelegt...



Dienstag, 22. Januar 2013

Ze German Earl Sweatshirt

"Wer zur Hölle ist Edgar Wasser?!"

Die Zeit, in denen derartige Äußerungen einem vielversprechenden jungen Musiker die Laune vermiesen könnten, ist für Edgar Wasser noch nicht einmal  annähernd gekommen. Noch schreibt er seine Texte nur zum Spaß, besucht hauptberuflich die Schule und glänzt dabei vor Allem im Fach Mathematik. 

Als Sohn asiatischer Eltern in Chicago geboren, übersiedelte er im frühen Kindesalter in die bayerische Landeshauptstadt und entwickelte schon bald ein eigenes Bewusstsein für künstlerische Ausdrucksformen.
Über den Radar der Rap-Blogosphäre war der eigenbrötlerische Wahl-Münchner bereits im vergangenen Jahr geschwirrt. Noch minderjährig, aber mit ordentlicher Rap-Erziehung im Gepäck hatte er kostenfrei jede Menge Musik auf seiner Homepage bereit gestellt. Untergrund-Instanzen wie 16bars.de oder oder die Reimliga Battle Arena streckten in der Folge schnell die Fühler nach dem Multitalent aus und boten ihm und seiner Kunst so eine breitere Ausstellungsplattform.



Ganz nach dem klassischen Prinzip von Angebot und Nachfrage steht deshalb seit einigen Wochen die Edgar Wasser EP in den (virtuellen) Läden und kann von ehrlichen Unterstützern für läppische 8,00 Euro käuflich erworben werden. Im Gegenzug bietet "Edgar zu dem fucking Wasser" nicht nur acht bisher unveröffentlichte Raptracks, sondern obendrauf ein komplett selbst und mit viel Liebe gestaltetes Booklet.
Darin stellt er mit auf den ersten Blick infantilen Kritzeleien seine Kreativität unter Beweis.

 




Man liebt ihn oder man hasst ihn. Nur ignorieren wird man diesen unkonventionellen Künstler ebenso wenig können wie etwa einen DCVDNS. Mit gerade einmal 17 Lenzen auf dem Buckel und einem derartig fortgeschrittenem "Rap-ertoire" an Oldschool-Referenzen und Reimtechniken freuen wir uns schon jetzt auf viel neues Material vom merkwürdigen, aber schwer unterhaltsamen Edgar Wasser. Eigentlich möchte man fast meinen, er sei der deutsche Earl Sweatshirt - nur ohne Borderline-Autismus und mit deutlich mehr Output...



Montag, 21. Januar 2013

By the Rivers of Schwabylon

Das war's das wohl mit dem Weltfrieden und den guten Vorsätzen für 2013. Irgendwann wird die Menschheit zurückblicken und sagen: Mit Wolfgang Thierse fing alles an. Ein alter Bekannter der bereits ein Cover des Mixtapes BlogFlöte zieren durfte. (Blogomotivführer berichtete)

Gegen Anfang des Jahres ließ der Bundestagsvizepräsident und stolze Berliner in einem vielbeachteten Interview seinem Frust freien Lauf. Sein Fass war voll. Und der Tropfen, der es letztendlich zum überlaufen brachte, wurde durch die in der Hauptstadt ansässigen Schwaben und deren auffällige Verhaltensmuster im Alltag vergossen. Zur Erinnerung - das waren seine Worte:

„Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche. Sie kommen hierher, weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig ist, aber wenn sie eine gewisse Zeit da waren, dann wollen sie es wieder so haben wie zu Hause. Das passt nicht zusammen. (...)"  In Berlin wolle er „Schrippen kaufen und keine Wecken und Pflaumenkuchen statt Pflaumendatschi.“




Ein Streit über den korrekten Ausdruck für ein bisschen gebackenen Teig. Soviel zu den Problemen unseres Landes. Die Blogomotive ließ sich zu diesem Zeitpunkt auf der südlichen Halbkugel die Sonne auf den Tank strahlen, war Tiefenentspannt und konnte dieser Form von Lokalpatriotismus nur ein müdes Lächeln abgewinnen.

Zurück im Schwabenland, nach einem Blick in die Zeitung, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Die Lage ist ernst. Zwei Bundeslänger befinden sich in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Es geht um Gentrifizierungspotenziale, Kulturwerte und sündhaft teure Immobilien. Der Sachverhalt ist kompliziert und höchst pikant.

Opfer des Spätzle-Anschlags: Das Käthe Kollwitz Denkmal im Prenzlauer Berg.
Vor wenigen Tagen attackierten schwäbische Aktivisten (sog. "Wutbürger") das Denkmal der im Dritten Reich verfolgten Künstlerin Käthe Kollwitz. Bedeutungsschwanger schütteten die Partisanen knapp 3,7 Kilo (handgeschabte!) Spätzle über deren Haupt. Ein symbolischer Akt par excellence. Doch für viele Menschen erscheint diese Art der Kritik als zumindest fragwürdig. Es ist ein Thema von bundesweitem Interesse. Zitate und Bilder gingen um die Welt. Mittlerweile erfüllt der Clinch sogar einige der Nachrichtenfaktoren der seriösesten aller Medien - dem Berliner Kurier.



Doch hinter der scheinbar sinnfreien Aktion verbirgt sich eine zentrale Forderung, gerichtet an die Berliner Minderheit in diesem Ort: ein kleiner, autonomer schwäbischer Stadtteil im Herzen der Hauptstadt.

Was für viele zunächst nach einem Hirngespinst aussieht, ist den Initiatoren bierernst. So prophezeit einer der Spätzle-Terroristen in einem exklusiven Interview mit VICE Germany den unmittelbar bevorstehenden Schwäbischen Frühling: "Der Kollwitzplatz ist unser Tahrir-Platz!"

Auf dem Blog Free Schwabylon finden sich weitere Forderungen:

Gegen eine autoritäre Berliner Minderheit!

Wir wollen nicht akzeptieren, dass Berliner uns wie Bürger zweiter Klasse behandeln. Während Schwaben an der kulturellen und wirtschaftlichen Zukunft der Stadt arbeiten, siechen Berliner in ihrem Trotz dahin. Wir fordern die Ausweisung des antischwäbischen Agitators Wolfgang Thierse aus Schwabylon.

Das Kollwitz-Denkmal ist das Symbol einer autoritären Berliner Minderheit. Wir haben es mit Spätzle beworfen, weil wir wütend sind. Und wo diese Spätzle herkommen, gibt es noch mehr. Unsere Spätzleschaber werden nicht ruhen, bis Schwabylon frei ist. Und sei es, dass der gesamte Prenzlberg unter einer Spätzleschicht schwäbischer Wut verschwindet.
Free Schwabylon!"
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Vor wenigen Stunden holten die ansässigen Berliner zum Vergeltungsschlag aus und setzten dem Denkmal im wahrsten Sinne des Wortes die Krone auf. Dies soll als Retourkutsche für diejenigen Schwaben gelten, die den nötigen Respekt vor der ehrenwerten Frau Kollwitz vermissen lassen.



Bleibt zu hoffen, dass es nicht zu weiteren Ausschreitungen kommt und der Battle of Berlin unblutig endet. Die Blogomotive besucht immer gerne die Hauptstadt und hofft dort auch in Zukunft gerne gesehen zu werden. Eines ist sicher: Der nächste Besuch ist ganz der Völkerverständigung gewidmet. Damit zusammen kommt was zusammen gehört. 

Maultaschen und Club Mate.
Stuttgarter Höfbräu und Berliner Kindl
Gregor Gysi und Andreas Bär Läsker.

Freitag, 18. Januar 2013

Erlebnispark Trips Trill

Mitte Januar 2013. Die Blogomotive erwacht aus ihrem Winterschlaf. Sechs Wochen ist es nun her, dass ihr das letzte Mal von uns gehört habt. Jetzt tritt endlich wieder Qualm aus dem Schornstein.

Am anderen Ende der Welt gab es alle Hände voll zu tun - zum Beispiel  Sonnen, Reisen, Feiern und dabei immer schön kräftig Kendrick Lamar pumpen. Dabei blieb die Blogomotive leider etwas auf der Strecke. Voller Ideen und Tatendrang geht es jetzt aber in das neue Jahr und die Karten werden neu gemischt. Nachdem Action Bronson 2013 im Rahmen seiner Welttournee bereits mit einem großen Knall eröffnete, buhlt nun ein anderer Verfechter der jungen Rap-Garde um die Gunst der Szene.



Uptown Manhattan. An der Ecke 140th St / Lennox Ave kommt es vor einem lokalen Plattenladen zu einem lärmenden Menschenauflauf, der nur mühsam durch  mehrere Türsteher zurückgehalten werden kann. Innen hat ein junger Mann zur Listening Session seines neuen Albums geladen, der vor 2 Jahren noch selbst Würfel durch die engen Gassen Harlems rollte. Jetzt will jeder dabei sein, wenn New York Rap in ein neues Zeitalter eintritt.

A$AP Rocky ist ein Künstler, der sowohl die Ressorts klassischer als auch moderner Kulturmedien fast schon spielerisch dominiert. Egal ob Rolling Stone, die New York Times, Die Süddeutsche oder Blogs wie 2dopeboyz und Hypetrak - die vergangenen Monate schimmerten eindeutig in glänzendem Codein-Lila. Seit seinem wegweisenden Untergrundhit, der Hustensaft-Hymne Purple Swag ist mittlerweile mehr als ein Jahr vergangen und der unangefochtene Anführer des A$AP Mobs schickt mit Long.Live.A$AP sein langerwahrtetes Debutalbum ins Rennen. Gefühlte 12 Mal wurde die Platte immer wieder kurzfristig verschoben, nun steht sie weltweit in den Regalen von Best Buy über Virgin bis hin zu Media Markt. Trotz illegaler Raubkopierer und vielleicht gerade wegen dem Boom von digitalen Tonträgern wird von A$AP Rocky dabei nichts Anderes als die Spitze der Charts erwartet. Und nicht nur die Last seines Labels liegt auf den Schultern des 24-jährigen New Yorkers.



Fast ein Jahr nach ersten Medienberichten von einem 3-Millionen-Dollar-Deal mit Sony Entertainment liefert der selbstproklamierte "Pretty Motherfucker" eine Platte ab, die seine Fans mehr herbeisehnt hatten als ein Sextape von Megan Fox. Ohne Album und mit nur einem Mixtape im Gepäck hatte es Rocky 2012 geschafft, Hallen von Paris bis Tokyo zu füllen und nach der Show entspannt mit Daft Punk oder Pharrell im Tourbus auf das Leben anzustoßen. Ein im besten Falle mittelmäßiges Posse-Mixtape des A$AP Mobs im Sommer (Lord$ Never Worry) versetzte seine Anhänger nicht gerade in Freudenstürme und diente allerhöchstens zur Überbrückung der Wartezeit auf den Longplayer. Jetzt gilt es, den Hype aufrecht zu erhalten und im besten Falle noch weiter zu steigern.
Dass Sonys Labelbosse dabei auf Nummer sicher gehen und ja nichts dem Zufall überlassen möchten, sah man an der streng durchgeplanten Album-Promotion im Vorfeld des Releases. Clubtour durch die USA und Europa - check. Liveautritt bei David Letterman - check. Charttaugliches Rihanna-Feature inklusive MTV-Performance - check. 

Auch das Album an sich ist nicht hektisch geworden, sondern wohl überlegt und getimt. Gleich nach Betätigung der Play-Taste wird man mit dem alles andere als homogenen A$AP-Sound konfrontiert. Verzerrte Houston-Synthies treffen auf den Lifestyle der Nouveaux Riche von Harlem, New York City.




Diese auf den ersten Blick inhaltliche Diskrepanz rührt vor Allem daher, dass A$AP Rocky als Protagonist der Platte genau zu der Zeit aufwuchs, als Cam'ron und die Diplomats rappend durch die Neighborhood cruisten und UGK sich weiter im Süden den Verstand mit Sizzurp vernebelten. Genau in dieser Phase schrieb Rockys erste Raptexte und ging einen weiteren Schritt in die Richtung, die seine Mutter bereits bei seiner Geburt für ihn vorsah, als sie ihr zweites Kind nach Raplegende Rakim benannte. In der Folgezeit verbrachte der junge Rakim Mayers viel Zeit damit, Blunts zu rauchen, Edward Fortyhands zu zocken und dabei die Entwicklungen in der HipHop-Landschaft genauestens unter die Lupe zu nehmen. Nachdem sowohl sein Vater als auch sein großer Bruder der Justiz und später Gewaltverbrechen zum Opfer fielen und er sich daraufhin gezwungen sah, in ein Obdachlosenheim zu ziehen, fasste er den Entschluss, dass es von nun an nur noch nach oben gehen könne. Wenige Jahre und viel harte Arbeit später ist seine Chance gekommen. Und diese will A$AP Rocky auf jedem der zwölf Tracks nutzen.


Der Albumopener und gleichzeitige Titeltrack Long Live A$AP bietet eine kurze Einführung in die Welt des Grillz-tragenden "Pretty Flacko", der sich für den verträumten Beat sogar mit an die Regler setzte. Kurzum ein melodisches Intro, das A$AP-Standards gerecht wird und abermals untermauert, warum die Uptown Crew aus dem Nichts an die Spitze der Musikwelt schoss. Momentan beherrscht eben niemand den urbanen Straßen-Rap so gekonnt wie sie. Und das soll auch erstmal so bleiben.

Angeführt vom Single-Zugpferd Goldie zeigte uns Rocky alle "motherfuckas that he came with" und cruist dazu selbstgefällig wie es nur neureiche Proletarier sein können durch die Pariser Innenstadt. Großartig.
Danach vereint PMW hedonistische Stripclub-Fantasien mit exzellent zerstückelten Reimketten von Rockys Feature-Buddy aus Kalifornien, Schoolboy Q. Ohne Frage einer der besten Songs des Albums, auch wenn er schon vor einigen Wochen als Leak durch die Weiten des Internets geisterte.

Das er sich auch raptechnisch entwickelt hat und, wenn auch nur sporadisch, reflektierter texten kann, beweist Rocky vor Allem auf dem von Santigold mit einer karibischen Elektro-Hook unterlegtem "Hell".

Das eigentlich fast schon widerlich auf Charterflug gepolte "Fuckin' Problem" mausert sich überraschenderweise gerade durchs Drakes überragenden 16er zu einem Concerto Kokain-geschwängerter Bubenstreiche und verkaufte in kürzester Zeit über 500.000 Einheiten - schwer, da noch einen drauf zu setzen.




Rocky reagiert mit einer beneidenswerten Scheißegal-Haltung und macht das, womit nur die wenigsten gerechnet hätten. Wer, wenn nicht er wagt im Jahr 2013 auf dem eigenen Rap-Debut einen Crossover-Track mit Skrillex? Eben, niemand.


Auf Train stehen A$AP Rocky mit Kendrick Lamar, Joey Bada$$, Yelawolf, Danny Brown, Action Bronson und Big K.R.I.T. gleich sechs kontemporäre Reimschmiede zur Seite, die auf einem Mid-90s-Beat Battle-Texte rausfeuern und zu minutenlangem Kopfnicken einladen.

Leider geht es danach qualitativ abwärts. Fashion Killa holt selbst die softesten Rapfans auf den Boden der Tatsachen zurück und besteht größtenteils aus abstoßendem Name-Dropping ("Schawn Pol Goltijay") auf einem fast schon lächerlichen Jodeci-RnB-Beat. Amateurhafte Reime wie "I Adore Your Dior" komplettieren das peinliche Gefüge und resultieren in absolut unnötigem Füllmaterial, das meine Finger schon nach der ersten Strophe fleißig nach der Skip-Taste suchen lässt.
Auf Phoenix gibt sich Rocky gesellschaftskritisch, weiß aber nur streckenweise zu überzeugen, etwa wenn er den von Dangermouse gemasterten Beat auch ohne wahre Hook aufrecht erhält.  
Suddenly lässt Rocky mit souligen Samples hochschaukeln und orientiert sich ohne Zweifel an narrative Kanye-Tracks aus alten Zeiten - leider erzählt er seine Lebensgeschichte dabei nicht ganz so überzeugend wie der Junge aus Chi-Town. Trotzdem ein überlegt gezogener Schlussstrich unter einem Albums, das danach nur noch mit wenig überzeugenden Bonus Tracks aufwartet. 
Der treibende dunkel Beat auf Jodye begleitet Rocky in seiner Rolle als Südstaaten-DMX und passt zwar überraschend gut ins allgemeine Soundbild, hebt sich aber lyrisch kaum aus der Masse hervor. Auch Ghetto Symphony, auf dem Rocky wie André 3000 spittet, weiß anfangs zu überzeugen, während er sich von Doppelreim zu Doppelreim hangelt - leider enttäuschen die Feature-Beiträge von Gunplay und A$AP Ferg (als OutKast-Counterpart Big Boi) und lassen  den Hörer im Verlangen nach ein bis zwei weiteren Rocky-Verses zurück. Auch Angels und I Come Apart markieren nichts Weiteres als eine unnötige Ergänzung der Tracklist für Hardcore-Fans der Harlem Crew. 


Durch sein einzigartiges Stilbewusstsein, zeitgemäße Beats und gerade einmal ein Mixtape hat es A$AP Rocky in der kürzester Zeit, ganz oben auf der Swag-Welle mitzureiten und dabei gefährlich nahe an den Rap-Thron zu kommen. Dass diese Welle davor brechen würde, war spätestens nach Kendrick Lamars Meisterwerk im Oktober Gewissheit. 
Long.Live.A$AP ist weder Enttäuschung, noch Offenbarung. Die Platte ist eindeutig zu gut dafür, um sie als kapitalistische Foltermethode für nordkoreanische Überläufer anzuwenden. Etwa die Hälfte der Tracks erweisen sich als waschechte Clubbanger im A$AP-Stil und werden wohl bald weltweit im Suff mitgerappt werden. Die beiden wohl gewählten Singles sorgen für das nötige Airplay im Radio. Der Rest des Albums bewegt sich leider zwischen kurzweiliger Unterhaltung und völlig inakzeptabler Selbstbeweihräucherung ohne musikalische Akzente, sodass leicht das Gefühl entsteht, dass dem Künstler nach einem starken Beginn irgendwann die kreative Puste ausging.
Und trotzdem: mit seiner Debut-LP hat A$AP Rocky etwas geschaffen, das in jüngerer Vergangenheit einzig den Jungs von Odd Future vorbehalten war - Kultstatus. Rocky ist ein Trendsetter wie er im Buche steht. Was er sagt und was er trägt manifestiert sich unumgänglich in den Köpfen der Jugend. Er nutzt diese Macht zwar nicht dazu, ein Überalbum à la Illmatic zu erschaffen - Straßenrap war trotzdem selten so authentisch. Long.Live.A$AP ist ein Zeitdokument und klingt wie New Yorker Rap im Jahr 2013 zu klingen hat. Grenzen werden überschritten und Gegenpole zusammengeführt. Dirty South, West- und Eastcoast, vereint in einem Rapper names A$AP Rocky.

Auf Alice Schwarzers Geburtstag wird man den jungen Mann aus Harlem wohl nicht rappen hören - aber sonst wahrscheinlich überall auf der Welt.



Anspieltipps

- PMW (feat. Schoolboy Q)
- Fuckin' Problems (feat. Drake & Kendrick Lamar)
- Train (feat. Kendrick Lamar, Joey Bada$$, Yelawolf, Danny Brown, Action Bronson & Big K.R.I.T.)



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